
Abschrift des Artikels „Spenden statt vernichten“ aus Frau und Mutter vom 1. Juli 2014
Spenden statt vernichten
Wie ausrangiertes Putzmittel ein Kinderorchester finanziert
Von Constanze Bandowski
Viel zu viele neuwertige Waren landen in Deutschland auf dem Müll, weil sie falsch etikettiert oder nicht komplett gefüllt sind oder weil die Verpackung beschädigt ist. Auch Überproduktionen und Reste von Sonderaktionen werden zerstört. Spenden statt vernichten – so lautet das Konzept des gemeinnützigen Unternehmens Innatura in Köln. Es verteilt solche Waren an gemeinnützige Organisationen und hilft damit bedürftigen Menschen.
In der vergangenen Woche England, am Vortag Osnabrück, am nächsten Tag ein Dorf in der Nähe von Spandau. Juliane Kronen ist ständig unterwegs. „Man tut eben alles, um einen Verteiler aufzubauen“, sagt die Gründerin und Geschäftsführerin des gemeinnützigen Unternehmens Innatura. Sie sitzt in ihrem Auto, auf dem Weg vom Kölner Büro Richtung Süden ins Troisdorfer Lager. 23 Kilometer sind das, gut dreißig Minuten Fahrzeit. Die nutzt die promovierte Betriebswirtin für den Aufbau ihrer jungen Firma. Gerade hat sie per Freisprechanlage mit einer Kundin telefoniert. Es ging um Sonnenbrillen, 13.000 Stück, Überschüsse aus der vergangenen Saison. Auf dem deutschen Markt sind sie nicht mehr zu verkaufen und würden normalerweise in der Müllverbrennung landen. Um die kostbaren Ressourcen nicht zu verschwenden, sucht Juliane Kronen deutsche Hilfswerke, die die hochwertige Ware für die Nachsorge von Augen- Operationen in Entwicklungsländern gebrauchen können. „In Deutschland werden Konsumgüter im Wert von rund sieben Milliarden Euro aus ganz unterschiedlichen Gründen vernichtet“, schätzt Juliane Kronen. „Davon wären Werte von zwei Milliarden Euro weiter vermittelbar, weil die Qualität einwandfrei ist.“
Bevor Innatura im September2013 an den Start ging, recherchierte Kronen zusammen mit zwei Kollegen der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) über zwei Jahre die Situation von Fehl- und Überproduktionen im Land und entwickelte daraus einen Geschäftsplan. Auslöser war ein Anruf im Jahr 2010: „Ein Kollege hatte 200.000 Flaschen Shampoo auf dem Hof stehen. Die Ware war falsch etikettiert, aber hundertprozentig in Ordnung. Er fragte mich, ob ich einen Abnehmer hätte.“ Als langjährige Partnerin von BCG hatte die umtriebige Geschäftsfrau eine Reihe gemeinnütziger Projekte umgesetzt und ein breites Netzwerk aufgebaut. Dennoch fand sie keine Organisation, die die Masse von 80 Tonnen Shampoo abnehmen konnte. Auf der Suche nach Lösungsansätzen stieß sie in England auf „InKindDirect“. Die Vermittlungsplattform unter der Schirmherrschaft von Prinz Charles erkannte die Problematik bereits 1996. Seitdem verteilt sie Sachspenden gegen geringe Gebühren an gemeinnützige Organisationen. „InKind war die richtige Antwort auf meine Suche“, so Kronen. Im Zuge ihrer Recherchen machte sie eine weitere Entdeckung: „Das Thema ist noch viel größer, als ich ursprünglich gedacht hatte, denn wir gingen nur von industriellen Fehlproduktionen aus.“ An Handelsüberschüsse wie Deodorants mit russischen Etiketten, nicht verkaufte Sonderaktionen von Waschmitteln oder 13.000 Sonnenbrillen hatte 2011 noch niemand gedacht.
„Wir haben Anfragen für Nachsorge-Projekte Wir haben Anfragen für Nachsorge-Projekte in Ghana, Tansania und Kambodscha“, sagt Annette Wolter, die auf der Rückbank sitzt und das Telefonat verfolgt hat. Die Informationswissenschaftlerin ist mit zwei weiteren Kolleginnen für das Innatura-Partnernetzwerk zuständig, also für die Abnehmerseite. Interessierte Hilfswerke, Kindertagesstätten oder soziale Einrichtungen können sich an sie wenden, wenn Interesse am Kauf von Babywindeln, Hygieneartikeln oder sonstigen Dingen besteht – zu fünf bis 20 Prozent des Marktwertes. In besonderen Fällen, wie zum Beispiel den 13.000 Sonnenbrillen, spricht das Team geeignete Kandidaten gezielt an.
Im Troisdorfer Lager herrscht Hochbetrieb.Ein großes Online-Versandhaus hat gerade eine Lieferung geschickt. „Das ist ja wie Weihnachten“, freut sich Juliane Kronen, als sie aus dem Auto steigt. „Hochstühle für Kinder! Und hier: Holzspielzeug, made in Germany – wer hat das denn bestellt?“ Die „Südfrüchtchen“, ein Verein zur Förderung der Jugendpflege in Köln, hätten nach Bildungsmaterial für Kinder gefragt, erklärt Annette Wolter, während sie ihre Kamera aus der Tasche zieht und jeden eingegangenen Artikel für die Produktblätter fotografiert. So können Kunden sich ein genaues Bild der vorhandenen Ware machen und die gewünschten Mengen bestellen. Umgekehrt können registrierte Abnehmer auch Wünsche äußern. Die Mitarbeiterinnen von Innatura suchen dann unter den Spendern nach Lösungen.
„Kronens Konzept ist eine große Bereicherung für uns“, sagt Bernhard Schumacher, Geschäftsführer von Schumaneck aus Brühl. Als erster Stammkunde bestellt die Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe regelmäßig Putzmittel, Spielzeug oder Bettwäsche bei Innatura und spart dadurch gut zwei Drittel des Großmarktpreises. „Durch die frei gewordenen Mittel können wir uns endlich Instrumente und Noten für einen Chor und ein Orchester leisten“, so Schumacher.
Auch die Spender sind von der Idee begeistert. „Im Hinblick auf die Rohstoffdebatte und die Ressourcenschonung tut es einem in der Seele weh, wenn man mit diesen hochwertigen Produkten nicht etwas Sinnhaftes tun kann“, sagt Manuela Rousseau, Leiterin für Unternehmensverantwortung (Corporate Social Responsibility, CSR) in der Hamburger Zentrale von Beiersdorf. „Wir bekommen häufig Spendenanfragen von Non-Profit Organisationen. Logistisch ist die Lieferung kleiner Mengen jedoch ein unglaublicher Aufwand, den wir nicht leisten können. Innatura schließt hier eine Lücke.“
Lagerist Jörg Lange bearbeitet gerade eine Anfrage der Barada Syrienhilfe. Als registrierter Partner hat diese bei Innatura eine Liste von Spielzeugen und Babywindeln zusammengestellt. „Die Windeln liefern wir direkt aus unserer Frankfurter Zentrale“, erklärt Lange, während er Plüschtiere und Matchboxautos für die Kinder im Flüchtlingslager Atmeh an der türkischen Grenze verpackt.
„Die Kosten für Lager und Personal müssen wir erstmal erwirtschaften“, sagt Juliane Kronen. Bisher haben sich die Investitionskosten aus ihrem Privatvermögen, Geldspenden und einer Anschubfinanzierung noch nicht amortisiert.Aber schon im ersten Halbjahr hat Innatura Waren im Marktwert von 600.000 Euro eingeworben und davon bereits 20 bis 25 Prozent vermittelt. „Mein Ziel sind 50 Millionen Umsatz nach fünf Jahren“, so die Betriebswirtin. „Das ist nicht unrealistisch.“ 20 Angestellte will sie dann beschäftigen. Bis dahin muss sie die Abläufe allerdings noch optimieren.
Wie das funktionieren kann, hat Juliane Kronen kürzlich bei einem Dinner mit Prinz Charles und den Kollegen von InKindDirect erfahren. Am Vortag saß sie mit Vertretern der Caritas im Bistum Osnabrück zusammen, die großes Interesse an Baumaterialien haben. Am nächsten Tag hält die 50-jährige Expertin ein Referat vor jungen Geschäftsfrauen, die sich gemeinnützig engagieren wollen.
„Das ist ein super Verteiler“, findet Juliane Kronen, „aber sie müssen erst einmal Erfahrungen sammeln, Geld verdienen und Kontakte aufbauen.“ Das langfristige Ziel der erfahrenen Unternehmensberaterin ist höchst ambitioniert: „Keine Überbestände und nichts geht mehr in die Vernichtung.“
Frau und Mutter, Menschen Leben Vielfalt – Zeitschrift der kfd. Ausgabe 07/08.2014, Seite 22 f.