Abschrift des Artikels „Spenden statt schreddern“ aus Der Tagesspiegel vom 13. März 2015
Spenden statt schreddern
In Deutschland wird fabrikneue Ware im Wert von sieben Milliarden Euro jährlich vernichtet. Innatura vermittelt überschüssige oder falsch etikettierte Produkte an soziale Einrichtungen.
200 000 Flaschen Shampoo direkt aus der Abfüllung, aber falsch etikettiert – und für den Handel deshalb nicht zu gebrauchen. Was tun damit? Warum nicht spenden an eine soziale Einrichtung? Unter zwei Bedingungen: rasche Selbstabholung und kein Weiterverkauf.
Als Juliane Kronen vor fünf Jahren genau dieses Angebot erhielt, mobilisierte die engagierte Ehrenamtliche sogleich ihr großes Netzwerk. Am Ende vergeblich: Um 100 Tonnen Material auf die Schnelle zu transportieren und zwischenzulagern, verfügte keine der interessierten Organisationen über die nötige Logistik. So wanderte das Shampoo schließlich doch in die Entsorgung.
Das ließ Kronen keine Ruhe.
„Mit zwei Kolleginnen recherchierte ich, dass in Deutschland jährlich fabrikneue Ware im Wert von sieben Milliarden Euro vernichtet wird – zum Beispiel aus Überschussproduktionen oder wegen kleinster Abweichungen bei der Abfüllmenge oder den Etiketts“, erzählt die ehemalige Unternehmensberaterin. Es müsste doch einen Weg geben, so grübelten sie und ihre Mitstreiterinnen, wie solche Ware als Spende für wohltätige Einrichtungen verteilt werden könnte. Aus diesem Nachdenken entstand das soziale Geschäftsmodell von Innatura.
Zahnbürsten und Pflaster für Obdachlose
„Wir sammeln bei Herstellern und Händlern überschüssige Produkte wie Waschmittel und Hygieneartikel, Spielzeug, Haushaltswaren und Büromaterial, die in ein zentrales Lager gebracht werden“, sagt Kronen. Von dort aus wird die Ware gegen eine Vermittlungsgebühr an nachweislich gemeinnützige Einrichtungen abgegeben. Der Preis der Artikel liegt zwischen fünf und 25 Prozent des niedrigsten Marktpreises. „Die Reichweite der sozialen Budgets wird auf diese Weise beträchtlich verlängert.“
Beispiel Bahnhofsmission: Jeder mühsam gesammelte Spenden-Euro bekommt durch Innatura eine deutlich höhere Kaufkraft. Zahnbürsten oder Körpercremes, Rasierutensilien oder Pflaster, die an Obdachlose ausgegeben werden, können in viel größeren Mengen geordert werden. „Zu unseren Bestellern zählen aber auch Kinderwohngruppen, die sich sehr darüber freuen, dass Windeln oder Waschmittel nicht mehr so große Löcher in ihr Haushaltsgeld reißen“, sagt Kronen.
Die Waren werden entweder auf dem günstigsten Post- oder Transportweg zulasten der Besteller versandt oder sie können im Lager abgeholt werden. Möglich sind Einzelbestellungen mit wenigen Artikeln im kleinsten Postpaket bis hin zu Großbestellungen, für die spezielle Angebote von Logistik-Anbietern eingeholt werden.
Die Spende vermeidet unnötigen Abfall
Nicht nur die Besteller, auch die Spenderunternehmen profitieren. Der Gedanke der unternehmerischen Gesellschaftsverantwortung (Corporate Social Responsibility) wird in vielen Chefetagen mittlerweile sehr ernst genommen. Die Spende an Innatura erfüllt einen sozialen Zweck und vermeidet unnötigen Abfall. Außerdem garantiert das gemeinnützige Unternehmen Markenherstellern, dass ihre Produkte nicht in Billigshops oder über Online-Plattformen unter Preis „verramscht“ werden.
Seit eineinhalb Jahren ist Innatura online und registriert immer mehr Besteller, aber auch Spender. Königlich geadelt ist das Unternehmen ohnehin schon: In Großbritannien verfolgt „In Kind Direct“ ein ähnliches Geschäftsmodell, 1996 von keinem Geringeren als Prinz Charles gegründet. Mit der britischen Organisation ist Innatura in einem internationalen Netzwerk eng verbunden; der britische Thronfolger hat der Kooperation höchstselbst zugestimmt.
Mehr im Internet: www.innatura.org
Der Tagesspiegel, 13. März 2015
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