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Das Mitgliedermagazin der Industrie- und Handelskammer zu Köln, IHKplus, hat in seiner Dezemberausgabe über innatura berichtet. Ein Beitrag von André Schmidt-Carré

Jedes Jahr werfen deutsche Unternehmen Produkte im Wert von mehreren Milliarden Euro weg,  weil sie nach ihren Maßstäben nicht mehr verkäuflich sind. Die Online-Plattform Innatura  der Kölner Unternehmerin Juliane Kronen vermittelt die Waren an gemeinnützige Organisationen –  in Deutschland ein Novum.

Juliane Kronen empfängt Besucher am liebsten im Herzstück ihres Unternehmens, dem neuen Lager der Innatura gGmbH im Kölner Stadtteil Westhoven. Dieses Jahr hat Innatura den Neubau bezogen, das alte Lager war schlicht zu klein geworden. Auf 600 Quadratmetern und 400 Palettenstellplätzen türmen sich 1.500 verschiedene Artikel: Körperpflegeprodukte, Waschmittel, Haushaltswaren und Geräte, außerdem Spielzeug, neben Kinderturnschuhen stehen noch einige bunte Planschbecken. „Die waren diesen Sommer begehrt, die Kinder in den Flüchtlingscamps im Libanon und in Griechenland brauchten dringend Spielzeug gegen die Langeweile“, sagt Kronen.

Schon mehr als 40 Spenderunternehmen

Eine Hilfsorganisation verschickt über Innatura erhaltene Windeln bis ins Naturkatastrophengebiet Haiti, 10.000 vom Deutschen Fußballbund  lizenzierte Fantrikots aus dem Restbestand einer Werbeaktion von Beiersdorf gehen an Jugendgruppen, in Weihnachtspakete und an geflüchtete Kinder und Jugendliche in Deutschland.

Kronens Unternehmen betreibt eine Online­-Vermittlungsplattform für neuwertige Sachspenden, die es so zuvor in Deutschland nicht gegeben hat: Hersteller und Händler können Waren mit kleinen Fehlern spenden, auch solche, die sie zu viel pro duziert haben, und die sie sonst entsorgen müssten.

Fabrikneue Ware im Wert von rund sieben Milliarden Euro landet jährlich in Deutschland auf dem  Müll, schätzt Kronen. „Wenn Unternehmen diese Produkte stattdessen spenden, haben alle Beteiligten etwas davon“, sagt die Gründerin. Die Unternehmen beweisen „Corporate Social Responsibility“ und reduzieren zugleich ihre Müllmenge. Und die sozialen Organisationen sparen beim Einkauf, für die Vermittlung der gespendeten Produkte zahlen sie lediglich eine Vermittlungsgebühr in Höhe von fünf bis 20 Prozent des Marktwertes.

2.000 gemeinnützige Organisationen und 40 spendende Unternehmen sind mittlerweile bei Innatura in Deutschland registriert, darunter Beiersdorf, Procter & Gamble, Amazon und viele mittelständische Unternehmen. Waren im Wert von sechs Millionen Euro hat Innatura bereits seit Gründung vor drei Jahren vermittelt, im vergangenen Jahr wurde das Unternehmen als „Ausgezeichneter Ort im Land der Ideen“ geehrt.

Die Idee für das gemeinnützige Unternehmen kam Juliane Kronen nach dem Anruf eines Kollegen: Ein Konsumgüterhersteller musste kurzfristig innerhalb weniger Tage 200.000 Shampoo­ Flaschen vom Hof bekommen – das Shampoo war völlig in Ordnung, aber wegen falsch bedruckter Verpackung unverkäuflich. Kronen war gut vernetzt – sie war damals Geschäftsführerin bei der Unternehmensberatung Boston Consulting Group in Deutschland und übte bereits verschiedene Ehrenämter aus. Dennoch: Das Shampoo landete in der Müllverbrennung. „Wir hätten Abnehmer für jeweils hundert oder zweihundert Flaschen gehabt, aber nicht für 80 Tonnen auf einmal“, erzählt Kronen.

Unternehmensberaterin und  Jury-Mitglied für den Alternativen Nobelpreis

Wenig später war die Geschäftsidee geboren:  „Es gibt im Leben Momente, wo man weiß: Das ist jetzt eine Gelegenheit, die man wahrscheinlich kein zweites Mal bekommen wird“, sagt die 53­Jährige. Für Kronen hieß das: Ihren alten Job kündigen und ihr Können als Unternehmensberaterin für eine gute Sache einsetzen: „Ich habe in meinem Leben eine exzellente Ausbildung bekommen und möchte der Gesellschaft etwas zurückgeben.“

Die gebürtige Neusserin hat in Köln studiert und promoviert, war zwischenzeitlich als Stipendiatin an der Universität von Missouri. Über das dortige Alumni­-Netzwerk lernte sie vor einigen Jahren Mitglieder aus der Jury des Alternativen Nobelpreises kennen. Sie schätzt deren Arbeit. „Mich hat es immer gereizt, Probleme zu lösen. Vorausgesetzt, der Hebel ist groß genug.“

Mittlerweile ist Kronen selbst Jury­-Mitglied, war zum Beispiel in Ländern wie dem Kongo und dem Tschad, um vor Ort Kandidaten für die Auszeichnung unter die Lupe zu nehmen. „Wenn man sich von offiziellen Reisewarnungen abhalten lässt, kommt man in dem Job nicht weit“, sagt Kronen. „Solche Reisen machen einen demütig. Wenn man von dort heil wieder zurückkommt, weiß man die Meinungs­ und Bewegungsfreiheit hierzulande wieder zu schätzen.“

„Sachspende“ als Geschäftsvorfall in SAP-Software

Mit Innatura betreibt sie nun ihr eigenes gemeinnütziges Unternehmen – und denkt auch hier über den Tellerrand hinaus: Kronen unterstützt Unternehmen zum Beispiel dabei, das Spenden von Produkten optimal in ihre Geschäftsprozesse zu integrieren und besucht gemeinsam mit Unternehmensvertretern Messen, wo sich die Firmen mit sozialen Organisationen vernetzen können. Zudem hat sie mit SAP Kontakt aufgenommen, damit der IT-Anbieter den Geschäftsvorfall „Sachspende“ in seiner Unternehmenssoftware abbildet und Unternehmen solche Spenden intern einfach verbuchen können.

Gut gerüstet mit dem Gefahrgut-Führerschein

Die größere Hürde ist steuerlicher Natur: Unternehmen müssen auf Sachspenden hierzulande die volle Umsatzsteuer zahlen, Spenden ist deshalb oft teurer als Wegwerfen. „Wir setzen uns bei der Politik dafür ein, hier eine andere Lösung zu  finden.“ In Ländern wie Großbritannien und den USA sind Sachspenden steuerfrei, die Spendenkultur deutlich stärker ausgeprägt. Prinz Charles ist Schirmherr von Innatura, seine Organisation „In Kind Direct“ vermittelt Produkte nach dem gleichen Prinzip schon seit rund 20 Jahren und unterstützt Innatura seit 2014, damals traf Kronen den Prinzen persönlich: „Das war natürlich schon was Besonderes“, sagt sie und freut sich  im nächsten Moment über die nagelneuen  Staubsauger im Lager, die gemeinnützige Organisationen nun günstig erhalten können.

Kronens Stärke: Sie fühlt sich auf internationalem Parkett ebenso zu Hause wie in der Lagerhalle ihrer Firma. Diese Erdung kommt nicht von ungefähr, ihre Eltern führten ein kleines mittelständisches Unternehmen, das Gase und Kraftstoffe an Firmenkunden lieferte: „Ich bin früher Tankwagen gefahren“, sagt Kronen trocken. „Und mein Gefahrgut­führerschein hilft mir heute manchmal mehr als mein Doktortitel.“
IHKplus 12.2016