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In der November-Ausgabe des Magazins L-mag ist ein Porträt unserer Geschäftsführerin Dr. Juliane Kronen erschienen. Den Beitrag von Susanne Lück lesen Sie hier:

Juliane Kronen erkennt gesellschaftliche Probleme und findet Lösungen dafür. Sie betreibt ein Unternehmen, das zwischen wirtschaftlichem Überschuss und Armut vermittelt – eine Macherin, die sozialen Nutzen maximiert

Der Händedruck entschlossen, das Lächeln zuversichtlich, die Sprache klar und auf den Punkt: Dr. Juliane Kronen ist eine Frau, die keine Zeit verschwendet, die tut, was zu tun ist, und das klug, effektiv und unerschrocken. Eine Macherin par excellence. Als reiner „Zahlenmensch“ wäre sie unterschätzt. Neben aller Vernunft kommt bei der überzeugten Unternehmerin auch viel Herzblut ins Spiel. Vor allem dann, wenn es Probleme zu lösen gibt, die uns alle angehen. Dafür hat die heute 53-Jährige vor fünf Jahren ihr Sozialunternehmen innatura gegründet. Nachdem sie viele Jahre als Unternehmens beraterin bei The Boston Consulting Group gearbeitet hatte, entschloss sie sich zu diesem Schritt. Sie wollte damit der alltäglichen Verschwendung von Konsumgütern begegnen. In Deutschland werden jedes Jahr fabrikneue Produkte für Körperpflege, Reinigung oder Haushalt im Wert von mehreren Milliarden Euro einfach weggeworfen. Weil sie zum Beispiel fehlerhafte Etikette oder Aufdrucke haben. Nichts liegt näher, als diesen unverkäuflichen Überschuss regelmäßig an Menschen in Not zu spenden. Geflüchtete brauchen auch Zahnpasta und Tampons. In fast allen Unterkünften für Jugendliche oder Obdachlose mangelt es an Decken und Bettwäsche. So lässt sich gleichzeitig Abfall vermeiden und Not lindern. Dennoch hatte das vor Juliane Kronen noch niemand versucht. Und das lag vor allem daran, dass die Unternehmen auch dann, wenn sie spenden wollten, die Kosten für Lagerung und Verteilung scheuten. Vernichten war einfach billiger. Genau hier setzte Juliane Kronen den Hebel an, als sie 2013 mit ihrer Plattform innatura.org online ging. Sie schloss die Vermittlungslücke. Die Waren gehen ins firmeneigene Lager in Köln und werden Hilfsorganisationen für einen Bruchteil des Handelspreises in gewünschter Menge geliefert.

Umverteilen von Sonnenbrillen bis Spielzeug

„Wir machen Dinge möglich, die es vorher noch nicht gab“, berichtet die Sozialunternehmerin mit blitzenden Augen. „Das macht enormen Spaß.“ Innatura spart heute 300 Tonnen Abfall ein. Es stellt Körperpflegeartikel, Reinigungsmittel, Pflaster, Verbände, Sonnenbrillen, Spielzeug, Kinderwagen, Schlafsäcke, Bettwäsche oder Werkzeug im Marktwert von rund 5 Millionen Euro für 700 gemeinnützige Ein- richtungen bereit. Und nicht nur für die  Flüchtlings-, Jugend- und Seniorenhilfe. Auch an traditionell eher unbeliebte Empfängergruppen vermittelt Juliane Kronen ohne Berührungsängste – an Wohnungslose, Suchtkranke, Prostituierte. Die Waren stammen von Drogerieketten, Online-Kaufhäusern oder Herstellern, denen ihre soziale Verantwortung wichtig ist. Dieses innovative Win-Win-Modell haben die Bundesregierung und die Deutsche Bank 2015 als „Ausgezeichneten Ort im Land der Ideen“ prämiert. Dabei sieht sich Kronen, die ihre 60-StundenWoche als eher geringe Arbeitsbelastung sieht, die in einem Familien-Fuhrunternehmen aufwuchs und während ihres BWL-Studiums Tanklaster fuhr, nicht in erster Linie als sozial engagiert. Sie will einfach Profi bleiben. Sie organisiert und berät so effektiv wie vorher, maximiert nur eben nicht mehr Gewinne, sondern sozialen Nutzen. Die Fulbright-Stipendiatin (US-amerikanisch-deutsches Austauschprogramm, Anm. d. Red.) hat in Köln und Missouri studiert und erscheint wie die  Verkörperung der amerikanischen „no nonsense“-Attitüde. Den Sprung in die Welt der Gemeinnützigkeit sieht sie ganz pragmatisch: „Das war keine ideologische Entscheidung, sondern eine ganz praktische. Da waren Dinge, die der eine dringend brauchte und der andere nicht mehr wollte. Um beide zusammenzubringen, mussten wir nicht nur vermitteln, sondern auch transportieren. Das konnte ich. Ich wusste: Wir haben ein Problem, ich habe die Lösung. Also habe ich es gemacht.“

„Vorbild bin ich zwangsläufig“

Als lesbische Unternehmerin sichtbares Vorbild für andere zu sein, daran hat sich Juliane Kronen mittlerweile gewöhnt. „Vorbild bin ich zwangsläufig, ob ich das will oder nicht. Wo ich auch auftrete, ich vertrete nicht nur meine Organisation, sondern auch die Frauen, die Gründerinnen, die Lesben.“ Das fand sie anfangs eher lästig. Als ein schwuler Kollege sie um Solidarität bei einer Firmenfeier bat, merkte sie aber: „Meine persönlichen Entscheidungen haben eine Bedeutung für die Entscheidungen anderer. Da musste ich schon Farbe bekennen.“ Sie hat es nicht bereut. Networking funktioniert ihrer Erfahrung nach unter Lesben sogar besonders gut. „Lesbische Netzwerke wie die Wirtschaftsweiber in Nordrhein-Westfalen sind ein ,safe space‘. Alle, die da sind, stehen grundsätzlich hinter mir. Wir haben über das Lesbischsein ein gemeinsames Thema. Das setzt die Hemmschwelle herunter, einfach mal zum Telefon zu greifen.“ Das Quäntchen Extra-Solidarität beweist die innatura-Geschäftsführerin übrigens auch bei ihrer Belegschaft. „Fast nur Frauen, zwei verpartnerte, und ein Mann, der sich nicht für Frauen interessiert“, verrät sie augenzwinkernd. Und dann ist da noch die beeindruckende Liste an Ehrenämtern. Unter anderem ist sie im Vorstand des Kölner Amerika-Hauses und im Kuratorium von Cradle to Cradle e.V. für nachhaltige biologische Materialkreisläufe. Die meiste Zeit verwendet sie aber auf die Right Livelihood Award Foundation. Diese in Deutschland für ihren „alternativen Nobelpreis“ bekannte Stiftung unterstützt sie seit 2011 als Jurymitglied. Jährlich werden mit dem Preis vier Menschen ausgezeichnet, die eine Lösung für drängende Zeitprobleme gefunden und umgesetzt haben. Es sind, sagt Juliane Kronen, „Leute, die die Welt besser, gerechter, friedlicher machen – und das mit ungeheurer Energie und Integrität.“

Alternativer Nobelpreis

Preisträgerinnen sind neben Politikern, Ärzten und Philosophen auch eine Lehrerin, eine Hebamme, eine Menschrechtsanwältin – und 2015 die LGBT-Aktivistin Kasha Jacqueline Nabagesera aus Uganda (L-MAG unterstützte 2012 Kasha mit der ugandische LGBT-Organisation FARUG, siehe November/Dezember 2012). „Ich habe mich sehr gefreut, dass wir die gesamte Jury davon überzeugen konnten, dass LGBT-Rechte integraler Teil der Menschenrechte und ein sehr wichtiges Thema sind“, sagt Kronen. „Jacqueline ist wirklich bedroht. Sie weiß morgens nicht, ob sie abends noch lebt. Eine so mutige Frau!“ Die Stiftung hilft ihren Laureatinnen nicht nur mit einem Preisgeld, sondern auch mit guter Vernetzung und – mitunter ganz konkretem – Schutz. Nabagesera bekommt beispielsweise Geld für einen Erdwall mit Tor um ihr Haus, um es vor Schüssen und Demolierungen zu schützen. Für Juliane Kronen beinhaltet der Right Livelihood Award auch eine globale Ermutigung, nämlich: „die Überzeugung, dass wir nicht mit Problemen leben müssen, deren Lösung schon bekannt sind und nur noch verbreitet werden müssen.“