
Abschrift des Artikels „Hilfe im Überfluss finden – Sachspenden für gemeinnützige Organisationen“ aus HK InfoBrief vom Dezember 2014
Hilfe im Überfluss finden – Sachspenden für gemeinnützige Organisationen
In Zeiten, in denen es vielen in Deutschland „so gut wie lange nicht“ geht und mancherorts ganz offensichtlich der Überfluss regiert, leidet eine große Anzahl von Menschen unter dem Mangel an genau den Dingen, die anderswo aus Gründen der Überproduktion vernichtet werden. Eine neue Sachspendenplattform versucht nun, die beiden Extreme in Einklang zu bringen – zu allseitigem Nutzen.
Anfang dieses Jahres, im Januar 2014, verkündete die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel im Rahmen einer Regierungserklärung der Großen Koalition: „Deutschland geht es so gut wie lange nicht.“ Und höchstwahrscheinlich geht es den meisten Menschen hierzulande tatsächlich besser als dem Rest der Welt. Dennoch ist längst nicht alles so rosig, wie die Kanzlerin es darstellt.
Die Armut in Deutschland nimmt zu, ebenso wie die Anzahl von Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen und nicht einmal das Nötigste zum Leben haben. Laut Armutsbericht der Bundesregierung sind 20 % der deutschen Bevölkerung (das sind 16 Millionen Menschen) von Armut bedroht. 300.000 Menschen sind obdachlos und 2,9 Millionen ohne Arbeit. Die Anzahl der Menschen, die Asyl in Deutschland suchten, ist der Statistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zufolge im Jahr 2013 im Vergleich zum Vorjahr um 69,8 Prozent gestiegen – und aufgrund der vielfältigen Krisen und kriegerischen Auseinandersetzungen, denen Menschen sich weltweit ausgesetzt sehen, werden es in Zukunft wohl eher mehr als weniger werden. All diese Mitmenschen benötigen Unterstützung, ein Dach über dem Kopf, Nahrung, Kleidung aber auch Hygiene- und Reinigungsmittel sowie Windeln und Spielzeuge für ihre Kinder und noch vieles mehr, was für ein Leben in Würde und gesellschaftliche Teilhabe notwendig ist.
Wie passt nun aber dieser Sachverhalt mit der Tatsache zusammen, dass deutschlandweit jährlich fabrikneue Waren im Wert von über zwei Milliarden Euro vernichtet werden? So unterschiedliche Produkte wie Shampoo, Putzmittel, Zahnbürsten, Kuscheltiere, Bettwäsche, Kinderwagen und Rasenmäher – um nur einige zu nennen – gehen in die Vernichtung, weil sie überschüssig sind, ein fehlbedrucktes Etikett tragen oder ein Logo aufweisen, das eine Farbnuance zu hell ausfällt. Die Gründe für die Vernichtung sind so vielfältig wie die Produkte, denen indes eines gemeinsam ist: Sie sind fabrikneu und qualitativ einwandfrei. Obwohl der Gedanke eigentlich nahe liegt, dass diese Artikel an vielen Orten besser „aufgehoben“ wären als in der Müllverbrennung, gab es in Deutschland keine groß angelegte Initiative, die dieses Potential zu heben und nutzbar zu machen versuchte – bis im Spätsommer 2013 die innatura ihre Arbeit aufnahm.
Die gemeinnützige innatura betreibt unter www.innatura.org eine Plattform für fabrikneue Sachspenden, die sie im großen Stil von Unternehmen und Produzenten erhält. Die Produkte werden zwischengelagert und gegen eine geringe Vermittlungsgebühr an gemeinnützige Organisationen weitervermittelt, die sich dazu verpflichten, die Waren direkt den Bedürftigen zukommen zu lassen oder unmittelbar für ihre eigenen Satzungszwecke einzusetzen. Bislang profitierten rund 150 in Deutschland als gemeinnützig anerkannte Organisationen von der
Vermittlung durch die innatura – und es werden täglich mehr. Die Bandbreite der Einrichtungen, die über die innatura Zugang zu Sachspenden erhalten, reicht aktuell von Obdachlosen- und Seniorenzentren über Kinderhäuser, Wohlfahrts-, und Tierschutzorganisationen bis hin zu Bildungsprojekten und Hilfsorganisationen, die sich für Menschen in Krisengebieten oder Entwicklungsländern einsetzen.
Auf der Webseite von innatura können sich wohltätige Organisationen kostenlos und unverbindlich registrieren lassen, um den Produktkatalog einzusehen und dann ganz individuell das zu bestellen, was sie benötigen – es besteht keinerlei Mindestabnahme oder gar die Verpflichtung zu regelmäßiger Bestellung. Auf diese Weise werden viele hochwertige Güter vor der Vernichtung bewahrt und zum Nutzen derer eingesetzt, die dieser Dinge dringend bedürfen.
Der doppelte Nutzen der innatura liegt deren Geschäftsführerin und Mitgründerin Dr. Juliane Kronen besonders am Herzen: „Mit unserer Plattform können wir nicht nur das umweltpolitische und ökonomische Problem der Vernichtung von überschüssigen Waren angehen, sondern auch ganz greifbaren Nutzen für gemeinnützige Organisationen und vor allem für die Menschen, denen diese helfen, stiften: Wenn weniger Geld für Waschmittel ausgegeben werden muss, kann das so frei gewordene Budget für andere Zwecke eingesetzt werden. Hinzu kommt, dass die gemeinnützigen Organisationen über innatura hochwertige Markenprodukte gegen eine niedrige Vermittlungsgebühr erhalten, was bei den Empfängern für große Freude sorgt. So berichtete uns beispielsweise die Leiterin einer Einrichtung, in der unter anderem jugendliche Mädchen leben, wie sehr diese sich über die Auswahl an verschiedenen Markenprodukten zur Körperpflege gefreut haben. Produkte vom ‚Discounter um die Ecke‘, die ansonsten aus einleuchtenden Gründen der knappen Budgets gekauft werden müssen, können so etwas verständlicherweise in aller Regel nicht leisten.“
Es wäre, angesichts der vielfältigen Missstände in diesem Land mehr als vermessen, die Hände in den Schoß zu legen und sich daran zu erfreuen, dass Deutschland „so gut wie lange nicht“ dasteht. Der Wohlstand Deutschlands spiegelt dazu viel zu wenig das Wohl der einzelnen Menschen, die hier leben. Dass es aber auch eine große Anzahl von Menschen und Initiativen gibt, die sich aktiv für eine Verbesserung der Verhältnisse einsetzen, darf und soll indes hoffungsvoll stimmen.
Svenja König,innatura gGmbH
www.innatura.org
HK InfoBrief – Informationen der Hannoverschen Kassen, Nr. 33, Dezember 2014